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Was lange währt, wird endlich gut!

  • HN Vets
  • 24. Jan. 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Apr.

CHRISTIAN NIEDERLEIN über die Rettung einer Vollblutstute Kentucky Woman.


Ein Beitrag aus der Mitteldeutschen Zeitung vom 28./29. Januar 2023



Foto: Susanne Kiegeland
Foto: Susanne Kiegeland

Dann, wenn es personell am ungünstigsten ist, passieren ja oft die schlimmsten Dinge. So erlebte ich auch einen zunächst normalen Wochentag im März 2006. Ausnahmsweise mit nur einer Angestellten im Dienst, hatte ich gerade einen großen Rüden zur Kastration auf dem OP-Tisch liegen, als uns ein Anruf aus dem heutigen Salzlandkreis erreichte. Es war offenkundig ein dringender Notfall.


Ein Pferd sollte sich bei der Überquerung der schmalen Fußgängerbrücke über das Flüsschen Ziethe vor einer Person im „Friesennerz“ derart erschrocken haben, dass es ausrutschte. Den Beschreibungen nach sollte das Tier nun auf der Brücke festgekeilt sein und aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen können. Die Feuerwehr sei bereits informiert worden, aber es wäre kein Tierarzt aus der Nähe bereit oder in der Lage, zu kommen. Da ich selbst gerade mit der OP begonnen hatte, musste meine Mitarbeiterin die Dame ebenfalls mit dem Rat vertrösten, weiterhin bei anderen Kollegen oder Kolleginnen um rasche Hilfe zu bitten. Mit den Bildern des armen Pferdes im Hinterkopf bemühte ich mich jedoch, möglichst rasch meine Arbeit zu beenden und rief dann noch einmal zurück. Tatsächlich hatte sich in der vergangenen halben Stunde niemand gefunden. Also setzte ich mich umgehend ins Auto und fuhr nach Crüchern.


Eine weitere gute halbe Stunde später war ich da. Ich parkte direkt vor dem Zugang und lies mein Auto geöffnet, um rasch an alles Notwendige heranzukommen. Die Feuerwehr war noch nicht an der Unfallstelle. An der Brücke traf ich dann auf die frischgebackene Pferdebesitzerin und eine mir bekannte, erfahrene Stallbetreiberin, die bis dahin als Einzige zu Hilfe geeilt war. Das Pferd, es war eine Vollblutstute namens Kentucky Women, der Zucht nach also ein Rennpferd, lag tatsächlich hilflos festgekeilt auf dem schmalen Übergang. Ich gelangte nur an ihren Kopf, indem ich über sie hinweg mit den Füssen auf dem ersten Querträger des alten Brückengeländers entlang balancierte. Es war augenscheinlich eine schwer lösbare Aufgabe. Die Brücke war auf normalem Anfahrtsweg nur von der einen Seite zu erreichen. Kentucky Woman hing mit dem linken Fesselgelenk eingekeilt in einem Pfosten, mit dem rechten Hinterbein unter dem Geländer auf der Brückenkante und strampelte munter weiter, wobei ihre sichtbaren Verletzungen immer größer wurden. Keine Frage, ich musste sie erst einmal sedieren, um danach den Abtransport zu organisieren. Doch ganz so einfach sollte das nicht werden. Kaum nachdem es gelungen war, dem verängstigten Tier das Beruhigungsmittel von oben in die Halsvene zu verabreichen, rutschte es mit der gesamten Hinterhand unter das Geländer und hing deshalb für kurze Zeit mit seinem gesamten Gewicht an dem eingekeilten linken Fesselgelenk. Ich musste sofort handeln und trat deshalb so beherzt gegen den Huf, dass sich das Bein ruckartig lösen konnte. Die Stute rutschte umgehend unter dem Geländer hindurch und fiel in den etwa 5 Meter tiefer fließenden kalten Fluss.


Dank der tapferen Stallbetreiberin, die sofort die steile Böschung hinab ins Wasser lief und anschließend den Kopf des Pferdes über Wasser hielt, gelang es das Leben des Pferdes zu erhalten. Doch wo war jetzt die lang ersehnte Feuerwehr? Noch einige Minuten später, nach einer gefühlten Ewigkeit, trafen die Einsatzkräfte dann ein und es begann die Rettung des Tieres. Als ehemaliger Bergungshelfer des THW konnte ich hierbei noch einen kleinen Beitrag leisten und dabei helfen, die Feuerwehrschläuche anstelle von Seilen mit den entsprechenden Knoten um das Pferd zu legen. Mit vereinten Kräften kam das völlig erschöpfte und an drei Beinen schwer verletzte Tier schließlich oberhalb der Böschung zum Liegen. Ich eilte an den mittlerweile zahlreichen Zuschauern vorbei zum Auto. Doch das war erstmal weg?! Es stand 300m weit entfernt und ich rannte dorthin. Abgeschlossen! Sofort zurück, rief ich nach dem Einsatzleiter und erhielt daraufhin meinen Schlüssel. Wieder raste ich zum Auto, dann mit Infusionen etc. zurück zum Pferd. Endlich konnte der Stute nun medizinisch geholfen werden. Nach einigen Stunden war sie auch wieder kräftig genug, aufzustehen. Anschließend konnte sie auch den zugangstechnisch notwendigen Weg bis zum Standort des Pferdehängers aus eigener Kraft gehen. Nach einer sechswöchigen, aufwendigen Behandlung in unserer Praxis, konnte Kentucky Woman dann gesund den Heimweg antreten. Ihre damalige Besitzerin würde jedoch nie wieder versuchen, mit einem Pferd eine derartige Brücke zu überqueren. Die mittlerweile hochbetagte Stute hat nach meiner Kenntnis, seit einiger Zeit ein neues Zuhause in der Lausitz gefunden.

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